"Schreiben, was wirklich wichtig ist" (von Lutz Tietje)
Auf einmal stockt ihm die Feder. Sein Brief an die Gemeinde in Rom neigt sich dem Ende. Und irgendeine dunkle Ahnung sagt Paulus, dass auch sein Leben sich dem Ende neigt. Er fühlt sich alt. Und müde. Aber das will er den Römern nicht eingestehen. Noch kennen Sie ihn dort nur vom Hörensagen. Er hat der kleinen christlichen Gemeinde versprochen zu kommen. Nun stellt er sich ihnen vor. Mehr noch, er schreibt ihnen, was er glaubt, was ihn im Herzen antreibt. Zeile um Zeile. Paulus will zum Ende kommen. Schreiben, was wirklich wichtig ist im Leben, im Zusammenleben. Vom Frieden, vom Guten will er schreiben. Sein Herz seufzt. Ach, könnten wir doch einfach im Frieden leben.
Paulus kommt es so vor, als sei sein ganzes Leben ein einziger Streit gewesen. Er ist müde vom Kämpfen. Sein Kampf um den rechten Glauben. Sein Ringen mit Christus. Die ewigen Diskussionen mit den Brüdern und Schwestern in Jerusalem. Der andauernde Streit in den Gemeinden, den er hat schlichten müssen. Wie oft hat er über seinen Briefen gesessen und geweint. Er spürt die Ketten, die so oft an seinen Handgelenken waren. Eingesperrt, gefangen zu sein, Schläge auszuhalten und doch die Hoffnung nicht sinken zu lassen. Wie müde ist er von all der Rechthaberei. Wie leicht wäre es, sich einfach zu ergeben. Das Böse einfach siegen zu lassen, den Egoismus, die Angst zu kurz zu kommen, die Angst eigene Fehler zu zugehen. Woher die Kraft nehmen, sich wieder und wieder zu versöhnen?
So mag sich Jesus auch gefühlt haben, denkt er . Als sie ihm die Krone voller Dornen auf den Kopf drückten. Ihn anspuckten. Die Peitschen knallen ließen und dabei lachten. Eines, so erinnert sich Paulus, eines hat er von diesem Jesus gelernt: Das Böse beginnt eigentlich immer mit der Gleichgültigkeit und der Gedankenlosigkeit konkreter Menschen. Was hat diesen Jesus eigentlich stark gemacht, dass er all das ertragen konnte?
Es war die Liebe, sagt er sich. Es war das Vertrauen darauf, dass da einer ist, der zu ihm hält. Gott selbst. Und so kann Paulus es ja auch für sich selbst sagen: Dass da einer ist, der an mir festhält, auch wenn ich immer wieder schwach werde – das hat mich wieder und wieder stark gemacht. Allein darum dreht sich der Glaube: Vertraust du nur dir selbst, oder vertraust du dem, der dich liebt, von Anfang an? Die Liebe, und nicht die Angst, ist es, die dich motiviert, die vielen kleinen Schritte zu gehen, die dieser Welt ein anderes Gesicht geben. Auf der Seite des Guten stehst du, und zwar nur deshalb, weil Gott sich auf deine Seite stellt.
Paulus setzt die Feder an. Jetzt weiß er, was er ihnen in Rom unbedingt noch sagen will:
Eure Liebe soll aufrichtig sein. Verabscheut das Böse und haltet am Guten fest. Liebt einander von Herzen als Brüder und Schwestern. Übertrefft euch gegenseitig an Wertschätzung. Macht euch die Gastfreundschaft zur Aufgabe. Segnet auch die Menschen,die euch verfolgen – segnet sie und verflucht sie nicht. Freut euch mit den Fröhlichen. Weint mit den Weinenden. Seid alle miteinander auf Einigkeit aus. Werdet nicht überheblich, sondern lasst euch auf die Unbedeutenden ein. Baut nicht auf eure eigene Klugheit. Vergeltet Böses nicht mit Bösem. Habt den anderen Menschen gegenüber stets nur Gutes im Sinn. Lebt mit allen Menschen in Frieden – soweit das möglich ist und es an euch liegt. Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen. Wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!
(Römerbrief, Kapitel 12 in Auszügen)